Eine Adventsgeschichte von einem kleinen mutigen Mädchen
Püppchen Teil 2
Und dann war Püppchen verschwunden. Sie war weder in Rhaunen noch in der Umgebung gesehen worden. Zuvor war sie jeden Tag am Morgen, Mittag oder am Abend irgendwo aufgetaucht und man hatte uns sofort verständigt, wenn sie allein über die Felder marschiert war, sie wieder einmal einen Einfangversuch unbeschadet überstanden hatte, sie in Wohngebieten auf der Suche nach etwas Essbarem gesichtet worden war, sie an einer Katzenfutterstelle zugeschlagen hatte oder beim tierlieben Dönermann in Rhaunen am späten Abend eine Extra-Portion hatte absahnen können. Wir waren irgendwie bei ihr. Und nun? Nichts!
Wir waren in großer Sorge um sie, stellten uns vor was passiert sein könnte. Bei jedem Unfall mit einem Tier der Schock, es könnte Püppchen sein, dann die Vorstellung sie könnte von Jägern mit einem Fuchs verwechselt worden sein . . . Und als die Angst um sie fast unerträglich wurde, die erlösende Nachricht: Püppchen ist am Flughafen Hahn bei McDonald’s gesehen worden, wie sie sich dort an weggeworfenen Resten bedient hatte. Zuerst konnten wir es gar nicht fassen. Warum Flughafen Hahn? Wegen den Big Mac und Pommes von McDonald’s, die sie aus Funchal kannte, oder wollte sie einfach Nachhause fliegen – zurück nach Madeira? Hatte sie ihr „Näschen“ voll?
Die Polizei und Pächter wurden informiert, da sie nun immer häufiger dort von Sven, Carmen und Kollegen gesehen wurde, die uns jede Sichtung weitergaben. Mit Unterstützung des Binger Teams Regina und Petra wurden Futterplätze angelegt, die von Carmen, Sabine und Claudia betreut wurden.
Die Ära Rhaunen war vorbei! Das hatte unser kleines Mädchen für sich entschieden!
Es war gut 4 Wochen her, dass in Rhaunen die erste Falle zum Einsatz gekommen war. Am 16.10.2020, machte sich das Sicherungs-Team - Marina und Petra aus dem Saarland und Tanja aus der Südpfalz - erneut auf den Weg zum Hahn, um eine große und eine kleinere Falle zu stellen. Püppchen hatte zu unser aller Freude 2 Futterstellen angenommen und wir waren voll Zuversicht, dass es diesmal gelingen würde sie zu sichern. Das Team war das gesamte WE vor Ort, traf sich mit Sabine und Claudia, die ab diesem Zeitpunkt, nach Anweisung die Fallen betreuen würden, hofften aber auf DEN Moment. Leider dachte Püppchen nicht daran unserer Qual ein Ende zu bereiten und sich „einfangen“ zu lassen. Wir sagten: Schach! Püppchen sagte wieder einmal: Schach matt!
Es musste also weiter nach Plan B vorgegangen werden: morgens um 03:30 Uhr war Sabine alleine auf dem Hahn unterwegs, um Püppchen leckere Sachen zu kredenzen, am Nachmittag gegen 15h30 waren meist Claudia und Sabines Sohn Max mit von der Partie. Carmen, die beim Security-Team FH/Hahn arbeitet und oft Nachschicht hatte, verständigte uns wann immer Püppchen auftauchte. Die Mitarbeiter der Fa. Haitec und anderer Industrieanlagen auf dem Hahn waren auch informiert über die kleine Nachtmaus und hielten die Augen und Ohren offen. Wir wussten fast immer, wo sie sich aufhielt. Aber sie war misstrauisch und sehr vorsichtig!
Püppchen hatte ihr Domizil sorgfältig ausgewählt. Sie schlief in einer Holzschnipsel-Halle, frühere Halle der US Army, in der Nähe der Fa. Haitec, wo sie nicht nass wurde und die Nächte, „warm“ in die Schnipsel gekuschelt, verbringen konnte. Obwohl an der Seite offen, bot sie Püppchen den ersehnten Schutz. Das clevere Mädchen hätte keinen geeigneteren Schlafplatz finden können als diesen. Sie hatte es dort ruhiger als jemals zuvor im Hunsrück, wurde sehr selten gejagt und da das Wetter immer schlechter wurde, hatte sie rechtszeitig die richtige Entscheidung getroffen. Aber sie war immer allein! Auf Madeira waren Freunde in der Nähe gewesen, mit denen man das Leid auf der Straße hatte teilen können. Hier war sie auf sich allein gestellt, was ihr sehr zu schaffen machte. Die Stellplätze der Fallen waren so gewählt, dass sie nicht weit hatte, um an Essen zu gelangen. Sie musste aufhören in der Weite des Hunsrücks herum zu irren. Musste wissen, dass sie nicht kilometerweit zu laufen brauchte, um ihr Bäuchlein zu füllen.
Beide Fallen waren mit Kameras und Life-Cams überwacht. Wir beobachteten sie jede Nacht, wie sie ein paar Bocken vor der Falle hungrig auffutterte, nahe an die Falle ranging, um gleich wieder ein paar Meter zurück zu springen, die Falle misstrauisch anstarrte und oft sitzend beobachtete. Diese Dinger waren ihr nicht geheuer. Sie wollte ihre Pfötchen nicht über die Schwelle setzen. Sie hatte Angst, es war deutlich zu sehen. Aber was konnten wir tun?
Dass man zusätzlich mit Allem rechnen musste, zeigte sich u.a. an dem Tag, als ein Pilzsammler die große Falle entdeckte. Im Nachhinein haben wir uns amüsiert, aber als dieser Mann an mehreren Tagen um die Falle schlich und sich auch bückte, waren wir alarmiert. Sabine machte sich sofort auf den Weg und redete freundlich und diplomatisch auf den „Störenfried“ ein, dass er doch bitte seine Pilze sonst wo sammeln möchte – aber nicht mehr in der Nähe der Falle. Sabine muss überzeugend gewesen sein, er ward nicht mehr gesehen. Von da an kontrolliere Max sogar den Boden um die Fallen rum.
Und dann gab es bei Max in der Schule einen Corona-Fall. Das bedeutete, dass Claudia nicht in Gefahr gebracht werden durfte und Sabine und Max von nun an auf sich allein gestellt waren mit der Fallenbetreuung. Was wäre, wenn sie ausfallen würden? Nicht nur für die Beiden, sondern auch für Püppchen eine Katastrophe. Man kann sich wirklich kaum vorstellen, wie viel Arbeit sich Sabine machte, wie viele Hühnchen sie für Püppchen gegrillt hat, wie viele Leberwurstbrote sie geschmiert und wie viele Wurstwasserspuren sie gezogen hat, um das Schätzchen in die Fallen zu locken. Ich denke kaum zuvor haben sich Menschen so viele Gedanken gemacht, was so einer kleinen portugiesischen Straßen-Prinzessin schmecken könnte. Und Max – immer mit vollem Einsatz dabei. Ein Wahnsinns-Junge voll Empathie, Rücksicht und Liebe zu dem kleinen Püppchen.
Auch wenn der Corona-Fall zuerst negativ, als weiterer Rückschlag gewertet werden musste, im Endeffekt spielte er uns in die Hände. Dadurch dass Sabine immer nur allein an die Fallen kam, gewann Püppchen Vertrauen. Zuerst bemerkte Sabine nachts um ½ vier nur 2 Augen, die sie aus ca. 8 m Entfernung anstarrten. Diese Augen begleiteten Sabine von der einen zur anderen Falle und sie hörte das kleine, nasse Püppchen piensen, so als wolle es auf sich aufmerksam machen. Für Sabine war das sehr traurig, da sich Püppchen nicht wagte näher zu kommen und ihr Jammern kaum zu ertragen war. Sie wollte mit nach Hause gehen, aber ihre Angst stand ihr im Wege.
Die Nachtaktionen dauerten an und wir waren nicht nur in Sorge um Püppchen, sondern auch um Sabine, die mutterseelenallein in dem dunklen Wald, bei Wind und Wetter am Hahn unterwegs war. Jede Nacht begleitete sie ein Team, ca. 150 km, 200 km und ca. 3000 km weit entfernt, wenigstens am Handy bei ihren Abenteuern. Wie Sabine das durchhalten konnte, bleibt uns ein Rätsel. Ohne Klagen, egal wie nass sie war, egal wie sehr sie fror, für Püppchen tat sie was sie konnte. Und langsam entwickelte sich aus anfänglichem Mitleid, eine tiefe Zuneigung zu diesem kleinen ängstlichen Wesen, was da aus einem fernen, warmen Land in den Hunsrück gekommen war um Prinzessin zu sein, jetzt aber eher einem Aschenputtel glich.
Die Kleine wartete nun bereits jeden Morgen auf Sabine und beobachtete aus einer gewissen Distanz heraus was Sabine tat. Püppchen lief weiterhin mit ihr an die Fallen – sah zu wie Sabine die Fallen bestückte und auch in ihre Nähe kleine Happen hinlegte und war recht zufrieden. Sabine fiel es immer schwerer die Kleine zu verlassen und zur Arbeit zu fahren. Obwohl es sehr schön und beruhigend war, wenn Sabine uns jeden Morgen von Püppchen erzählte - wir kamen so nicht weiter. Wir reduzierten das Essen vor den Fallen auf ein Minimum, bestückten dafür die Fallen mit dem Feinsten: Gegrilltem Hühnchen, Leber, Döner, Frikadellen usw. und wollten Püppchen damit zwingen in eine Falle zu gehen, wenn sie großen Hunger hat. Aber wir hätten es besser wissen müssen. Püppchen bestimmte von Anbeginn die Regeln. Sie spielte unser „Spiel“ nicht mit!
Sie war wieder verschwunden.
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